Forschungspreis der Hilde-Ulrichs-Stiftung (2014)

Hand aufs Herz: Wer von den an Parkinson Erkrankten sehnt sich nicht danach, es möge jemand eine Wunderpille erfinden, die diese so vielfältige wie unangenehme Krankheit heilen kann oder wenigstens das Leben mit dieser Krankheit erträglich machen kann. Selbst die nüchternen und realistisch Urteilenden unter uns, die genau wissen, dass es diese Pille auf lange Zeit nicht geben wird,  sind nicht gefeit vor diesem Gedanken.

Und wie das so ist in einer Marktwirtschaft, in der sich die Angebote an der Nachfrage orientieren, greifen der Medizinbetrieb und die Medien diesen Wunsch der Patienten dankbar auf und bedienen ihn eifrig. Mindestens einmal im Jahr nimmt man eine aufsehenerregende Beobachtung im Gehirn von afrikanischen Wüstenmäusen oder ein geglücktes chemisches Experiment an Fadenwürmern in der Petrischale zum Anlass, den Durchbruch in der Parkinsonforschung zu verkünden: „Bald ist Parkinson heilbar!“ ist dann in den einschlägigen Zeitschriften zu lesen. Das wars dann aber auch schon. Nur selten hört man später noch einmal von dem so erfolgversprechenden Projekt. Das geht Jahr für Jahr so, ja man kann auch sagen Jahrzehnt für Jahrzehnt. Man gewinnt den Eindruck, es handelt sich dabei um ein Spiel und das ganze Spiel diene nur dem Sammeln von weiteren Geldern für die eigene Forschung.

Und alle scheinen mitzuspielen, und jeder scheint glücklich zu sein in seiner Rolle: die Forscher, ausgestattet mit Steuergeldern und Spendengeldern, forschen munter drauflos; die Ärzte, gut versorgt, zucken angesichts ihrer Hilflosigkeit bedauernd mit den Achseln; die Pharmaindustrie reibt sich die Hände, verdient sie doch an Tabletten schluckenden, chronisch Kranken am meisten; und schließlich die Patienten sitzen geduldig im Wartezimmer und warten bis sie aufgerufen werden und lassen sich behandeln. Jeder scheint seine Rolle zu kennen und sie fleißig zu spielen.

Nein, alle spielen sie nicht mit. Immer wieder gibt es Menschen, die diese wohl geordnete Parkin-son-Welt durcheinanderbringen und sich nicht mit der ihnen zugedachten Rolle abfinden. Patienten oder Ärzte, am besten Patienten und Ärzte. Wenn auch der Impuls meist von den Betroffenen selbst ausgeht, ist eine Änderung dieser Verhältnisse nur möglich, wenn Patienten und Ärzte sich als Partner verstehen und partnerschaftlich neue Akzente setzen. Zum Beispiel Therapieansätze entwickeln, die ohne die lästigen Nebenwirkungen der Medikamente auskommen und die von den Betroffenen selbstständig angewandt werden können. Die Ärzte verdienen dabei eine besondere Anerkennung, handeln sie doch eigentlich gegen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen.

Genau solche Menschen, die Alternativen zur herkömmlichen Tabletten- oder OP-Therapie entwickeln helfen, möchte die Hilde-Ulrichs-Stiftung für Parkinsonforschung mit ihrem Forschungspreis unterstützen. Diese Stiftung hat sich zur Aufgabe gemacht, diejenigen zu unterstützen und zu fördern, die andere Wege gehen, die die Eigenverantwortung der Parkinson-Patienten fördern und die ein Arzt-Patienten-Verhältnis auf Augenhöhe akzeptieren und aufbauen. Die Hilde-Ulrichs-Stiftung will ihr Geld nicht in Vorhaben geben, die ohnehin im Interesse der Pharmaindustrie oder der medizinischen Wissenschaft liegen, sondern dort helfen, wo Phantasie und Eigeninitiative ausgebremst werden durch Geldmangel.

Um diese Unterstützung zu ermöglichen, führt die Hilde-Ulrichs-Stiftung immer wieder öffentlichkeitswirksame Projekte durch zum Sammeln von Spenden, arbeitet mit anderen Institutionen zusammen, bzw. wird von ihnen unterstützt. Ein nächstes besonders herausragendes Projekt, das die Stiftung unterstützt, ist eine Benefiz-Radtour von Hannover bis nach Istanbul, unternommen von einem Parkinsonkranken mit seinem Bruder. Der Erlös der Aktion kommt der Stiftung zugute.

Dass in diesem Jahr der Preis nach Bad Segeberg geht, ist äußerst sinnfällig. Denn die bundesweit agierende Hilde-Ulrichs-Stiftung, welche diesen Preis vergibt, ist benannt nach einer bemerkenswerten, vielseitigen und engagierten Frau, die 1997 an den Folgen einer besonders schwer verlaufenden Parkinsonerkrankung starb. Geboren wurde Hilde Ulrichs – und dies mag vielleicht die Aufmerksamkeit auf diese Frau erhöhen – in Westerrade im Kreis Segeberg. Mit ihrem Mädchenname hieß die Bauerstochter Hildegard Behrens.

Kurz vor ihrem Tod hat ihr Lebenspartner Hermann Terweiden die Hilde-Ulrichs-Stiftung gegründet und sein gesamtes Privatvermögen genommen und damit den Grundstock gelegt für die Arbeit dieser Stiftung.

Durch Spenden im Zusammenhang mit zahlreichen Aktionen ist das Stiftungsvermögen soweit angewachsen, dass insgesamt 110.000 € zur Unterstützung von besonderen Initiativen und Forschungsvorhaben ausgegeben werden konnten. Darauf können Hermann Terweiden und die Stiftung stolz sein. Der erwähnte Bezug der Namengeberin unserer Stiftung zu Bad Segeberg und Umgebung ist sicher zufällig, kein Zufall ist, dass der Forschungspreis der Hilde-Ulrichs-Stiftung in diesem Jahr nach Bad Segeberg geht. Denn bei der Thematik künstlerische Betätigung als Therapie bei Morbus Parkinson sind mittlerweile bundesweit die Augen nach Bad Segeberg gerichtet. Hier tut sich etwas bislang Unerhörtes und Ungesehenes. Und diese Initiative will die Hilde-Ulrichs-Stiftung unterstützen.

Preisträger des Forschungspreises der Hilde-Ulrichs-Stiftung 2014:

Prof. Dr. med. Björn  Hauptmann

Er erhält den Preis aus folgenden Gründen:

  • Prof. Hauptmann ist ein weit über Bad Segeberg hinaus bekannter, einfühlsamer Experte bezüglich der Parkinsonschen Krankheit und hat sich während seiner Tätigkeit in der Parkinson Klinik der Segeberger Kliniken bundesweit einen Namen gemacht.
  • Prof. Hauptmann ist in besonderem Maße an nicht-medikamentösen Parkinson-Therapieformen interessiert, unterstützt diesbezügliche Impulse der Parkinson-Selbsthilfe und trägt den Gedanken einer positiven Therapie mit künstlerischen Mitteln in die medizinische Fachwelt.
  • Prof. Hauptmann ist Mitbegründer des Vereins „Parkinson bewegt e.V.“ und unterstützt dessen Ziel, Parkinsonpatienten Tipps und Hilfestellung zu geben, wie diese durch Bewegung und künstlerische Betätigung ihr Leben mit der Krankheit verbessern können, ohne ihre Medikation zu erhöhen.

Der Preis ist mit 10.000 € dotiert und dient der Weiterführung der erwähnten Arbeit in Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe-Initiative.

Der von der Hilde-Ulrichs-Stiftung verliehene Preis ist ein Forschungspreis, auch aus diesem formalen Grund bekommt Prof. Hauptmann ihn verliehen. Doch möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass mit diesem Preis auch die Patienteninitiative aus der Selbsthilfearbeit gewürdigt wird. Gut gemeinte Aktionen von Patienten laufen ohne die Unterstützung durch die Mediziner häufig ins Leere. Umgekehrt bedarf es aber auch meist eines Impulses aus dem Kreis der Betroffenen heraus, um ein Thema in die Fachwelt transportieren zu können. Und das Thema Kunst, Singen, Tanzen, Theaterspiel, Musizieren als Parkinson-Therapie, hat sich im Wesentlichen ein Mann auf die Fahnen geschrieben: Bernd Braun. Ohne sein stetiges Drängen, ohne seinen großartigen Einsatz und seine schon fast penetrante Verfolgung seines Vorhabens, hätte es die mittlerweile zwei Symposien nicht gegeben, und ohne ihn wäre möglicherweise auch Prof. Hauptmann nicht zum Motor dieser so wichtigen Bewegung zur Entwicklung alternativer therapeutischer Verfahren gegen Parkinson geworden.

Im Grunde ist der gedankliche Ansatz ganz einfach: Die ärztliche Erfahrung, aber auch der gesunde Menschenverstand lehrt, dass es kranken Menschen besser geht, wenn sie einigermaßen zufrieden sind, wenn sie Dinge tun, die ihnen Spaß machen. Das kann Bewegung sein, ob Tanzen,
Kegeln oder Radfahren, das kann künstlerische Aktivität sein, Malen, Singen, Musikmachen oder es kann ein Ausleben der eigenen Kreativität sein, wie etwa Theaterspielen. Man kann es sicher nicht beziffern, aber derartige Betätigungen ersparen Tonnen an Medikamenten. Und so ist es eigentlich ganz einfach: Kunst und Kreativität und Bewegung sind wichtige Elemente bei dem therapeutischen Mix für Parkinson-Patienten.

Doch das Einfache ist häufig gar nicht so leicht umzusetzen. Der Einsatz für solche alternativen therapeutischen Verfahren ist kein gerader und einfacher Weg, sondern einer, auf dem zahlreiche Stolpersteine liegen. So mancher Neurologe ist skeptisch, überträgt er doch einen Teil der Verantwortlichkeit in der Therapie auf den Patienten und verliert so Einfluss; die Ärzte generell müssen sich damit abfinden, dass Patienten ein Verhältnis auf Augenhöhe einfordern; Vertreter der Pillen-Industrie fürchten, dass ein ganzer Markt wegbricht; aber auch für die Betroffenen ist es nicht einfach, sie müssen mehr Eigenverantwortung übernehmen und können therapeutische Misserfolge nicht dem Neurologen oder unwirksamen Tabletten in die Schuhe schieben.

Allen Skeptikern, die die Bedeutung der selbstbestimmten künstlerischen Therapie bei MP bestreiten oder daran zweifeln, sei der mittlerweile berühmt gewordene Satz Hermann Hesses ins Stammbuch geschrieben: „Damit das Mögliche entstehe, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.“ Die beiden Geehrten haben in der Tat das Unmögliche versucht, und etwas realisiert, was man kaum für möglich gehalten hat.

So überreichen wir denn den Forschungspreis der Hilde-Ulrichs-Stiftung, in Höhe von 10.000 €, an Prof. Dr. Björn Hauptmann und Bernd Braun, als Anerkennung für ihre so wichtige Arbeit und zur Unterstützung weiterer Initiativen auf diesem Weg.

 

Prof. Dr. med. Björn Hauptmann wurde in Deggendorf/Bayern geboren, wuchs in Wien auf und machte am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Ludwigsburg sein Abitur. Nach dem Wehrdienst und einem Studium generale an der Università de Firenze, studierte er Humanmedizin an der Universität des Saarlandes in Homburg/Saar und an der FU Berlin. Von 1993 bis 1997 arbeitete er als Assistenzarzt an der Klinik Berlin, Abteilung für Neurologische Rehabilitation der FU Berlin. Während dieser Zeit absolvierte er auch eine einjährige Ausbildung in der Psychiatrie des Wenckebach Krankenhauses in Berlin-Tempelhof und begann eine Weiterbildung in Sozialmedizin. 1997 promovierte er zum Thema „Motorisch evozierte Potentiale in zentral paretischen Handmuskeln. Ein Vergleich verschiedener krankengymnastischer Fazilitationsverfahren“ ebenfalls an der FU Berlin. Im gleichen Jahr wechselte er an die Klinik für Neurologie der Charité, von wo er 1998 als Feinberg Stipendiat an das Department of Neurobiology am Weizmann Institute of Science in Israel ging. Im Februar 2000 setzte er als Assistenzarzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter seine Facharztausbildung Neurologie an der Charité fort und schloss Weiterbildungen in Neurologischer Intensivmedizin, Klinischer Geriatrie und Sozialmedizin ab.

Seit 2005 ist er als Leitender Oberarzt am Neurologischen Zentrum der Segeberger Kliniken tätig, und verantwortet u.a. den Aufbau einer Fachklinik für Parkinson & Bewegungsstörungen, deren Chefarzt er auch ist.